Wie war deine Arbeitssituation vor Corona?
Ich bin Sozialpädagogin und mit 80% bei einem kleinen, gemeinnützigen Verein angestellt. Vor Corona hatten wir – neben vielen anderen Angeboten – dreimal pro Woche einen offenen Jugendtreff, den vor allem Jugendliche von der naheliegenden Gemeinschaftsschule und Kinder aus der Grundschule regelmäßig besuchten. Neben Mittagessen, freiem WLAN und Räumen, um sich zu treffen, boten wir vor allem Unterstützung beim Lernen und bei den Hausaufgaben an. Insbesondere Jugendliche, die sonst wenig Ressourcen und Hilfestrukturen haben, darunter sehr viele Geflüchtete, nahmen dieses Angebot an. Einige unserer Besucher*innen stammen aus Kriegs- und Krisengebieten und haben zum Teil noch nie oder nur für kurze Zeit eine Schule besucht, bevor sie nach Deutschland kamen. Zu dieser ohnehin schon kaum vorstellbar schweren Situation kommen beengte Wohnverhältnisse, wenig Geld, keine Privatsphäre, teils wenig bis keine technische Ausstattung und vieles mehr.
Wie hat sich deine Arbeitssituation durch die Pandemie verändert?
Seit am 17. März, vor nunmehr fast 8 Wochen, die Schulen in Baden-Württemberg geschlossen wurden, ist auch unser Jugendtreff – zumindest für direkte persönliche Kontakte – geschlossen. Ziemlich schnell nach der Schulschließung haben wir Handysprechzeiten ins Leben gerufen: 3 Tage pro Woche sind wir für jeweils 4 Stunden erreichbar und versuchen über WhatsApp, Sprach- und Videonachrichten und Telefonate so gut es geht bei den Schulaufgaben zu unterstützen und auch für alle anderen Fragen und Probleme ansprechbar zu sein. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem die Jugendlichen, die ansonsten kaum Unterstützung haben, auf Hilfe angewiesen sind. Teils fehlt ihnen die Technik, sie haben keinen PC oder Laptop, teilen sich zum Teil ein Smartphone, haben keine Mailadressen, keine Drucker oder verstehen die Aufgaben oder Mails des Lehrpersonals nicht. Auch ihre Eltern sind mit diesen Anforderungen teils schlicht überfordert. Einige Jugendliche sind für uns komplett von der Bildfläche verschwunden, was uns große Sorgen bereitet. Mit ziemlicher Sicherheit wird sich die Schere zwischen denjenigen mit Unterstützung aus dem Elternhaus und denjenigen, die diese Ressourcen (aus welchen Gründen auch immer) nicht haben, durch die lange Schulschließung noch weiter öffnen. Zwar werden im deutschen Schulsystem schon immer die Kinder aus wohlhabenden Familien gefördert, während die anderen auf der Strecke bleiben (wenig verwunderlich, denkt man z.B. an den Hartz IV-Regelsatz für Bildungsausgaben von 0,23€ pro Monat für 15-17-Jährige), aber diese Tendenz wird sich weiter zuspitzen, wenn die Schüler*innen für mehrere Wochen auf sich allein gestellt sind. Hinzu häufen sich weitere Schwierigkeiten, die oben bereits angesprochen wurden. Wie soll man z.B. ohne eigenes Zimmer in Ruhe Schulaufgaben machen? Wie lange kann man es generell in kleinen Wohnungen, ohne Terrasse oder Garten, ohne Ausweich- oder Rückzugsmöglichkeiten unbeschadet aushalten? Konflikte im häuslichen Kontext verstärken sich auf engstem Raum, Kontakte und Hilfestrukturen außerhalb der Familie fallen weg. Die Schulschließung kann auch den Wegfall von regelmäßigen warmen Mahlzeiten bedeuten, insbesondere wenn das eh schon knappe Haushaltsgeld durch Hamsterkäufe besorgter Bürger*innen für teurere Lebensmittel, die noch in den Regalen vorzufinden sind, ausgegeben werden muss. Zusätzlich sind die Tafeln geschlossen. Derzeit werden Schwierigkeiten wie ich sie hier beschrieben habe, häufig als Argumente für eine frühzeitige Wiederöffnung der Schulen herangezogen, allerdings ohne dabei ernsthafte Bestrebungen zu hegen, diese Ungleichheit, die wir auch ohne Pandemie haben, auch nur anzutasten.
(Quelle: https://www.hartziv.org/regelbedarf.html)
All diese Aspekte besorgen mich, da ich die Jugendlichen, die ich normalerweise regelmäßig sehe, nicht mehr erreichen kann und gleichzeitig weiß, dass das alles reale Schwierigkeiten sind, mit denen sie zu kämpfen haben. Meine Arbeitssituation hat sich also grundlegend und auf unbestimmte Zeit verändert. Wir versuchen, digitale Angebote zu schaffen und virtuelle Räume zu nutzen, aber auch hierzu haben bei weitem nicht alle Zugang. Persönlich werde ich im Moment unter der Auflage, soviel wie möglich in den digitalen Raum zu verlagern und konzeptionelle Arbeiten, Vernetzungsarbeit etc. weiterzuführen sowie Überstunden und alten Urlaub abzubauen, noch normal bezahlt. Aber von Kolleg*innen aus anderen sozialen Einrichtungen weiß ich, dass sie Urlaub nehmen müssen, Unterstunden anhäufen, in Kurzarbeit kommen oder sogar unbezahlt freigestellt werden. Die Verlagerung der Arbeit ins private Homeoffice, so wie die Sorge um die Jugendlichen, führen bei mir außerdem schnell zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit: mal muss dringend noch eine Mail verfasst, mal ein Anruf angenommen oder eine WhatsApp-Nachricht beantwortet werden.
Wie kann eine Nachbarschaftshilfe von unten für dich in dieser Situation eine Unterstützung sein?
Mir hilft im Moment auf jeden Fall der Austausch mit anderen, auch in Hinblick auf die arbeitsrechtliche Situation. Gleichzeitig zeigt mir meine Arbeitserfahrung, dass die staatlichen Strukturen den Arbeiterinnen und Arbeitern und ihren Familien und denen, die wenig zum Leben haben, kaum zugutekommen. Während die einen mit einem viel zu niedrigen Kurzarbeitergeld oder Hartz IV-Sätzen, die auch ohne Pandemie nicht mal annähernd als ausreichendes „Existenzminimum“ bezeichnet werden können, darum kämpfen ihre Mieten oder den nächsten Einkauf bezahlen zu können, können große Unternehmen einfach ihre Mietzahlungen einstellen und Milliardenhilfen vom Staat beantragen. Diese Widersprüche sind immer vorhanden, sie werden in der derzeitigen Krise aber besonders sichtbar. Deswegen müssen wir eine gegenseitige Hilfe von unten entwickeln, unabhängig von staatlichen Strukturen, die nachhaltig wirksam ist und nicht mit der nächsten Kürzung wieder verschwindet. Dabei kann es für uns alle eine neue Erfahrung sein uns gegenseitig zu unterstützen und z.B. Wissen oder Ressourcen zu teilen. Leider sind wir es im Alltag viel zu sehr gewohnt uns allein durchzuschlagen, mit unseren Problemen allein zurechtzukommen und für uns zu bleiben, anstatt uns mit Menschen zusammenzutun, die in einer ähnlichen Lage sind. Deswegen ist eine Nachbarschaftshilfe von unten gerade in der jetzigen Situation sehr wichtig und unterstützend. Aber auch nach einer „Rückkehr zur Normalität“, die für einen Großteil der Bevölkerung ein Verbleiben in prekären Verhältnissen bedeutet, bleibt eine selbstorganisierte gegenseitige Hilfe sehr wichtig.
Ich bin Sozialpädagogin und mit 80% bei einem kleinen, gemeinnützigen Verein angestellt. Vor Corona hatten wir – neben vielen anderen Angeboten – dreimal pro Woche einen offenen Jugendtreff, den vor allem Jugendliche von der naheliegenden Gemeinschaftsschule und Kinder aus der Grundschule regelmäßig besuchten. Neben Mittagessen, freiem WLAN und Räumen, um sich zu treffen, boten wir vor allem Unterstützung beim Lernen und bei den Hausaufgaben an. Insbesondere Jugendliche, die sonst wenig Ressourcen und Hilfestrukturen haben, darunter sehr viele Geflüchtete, nahmen dieses Angebot an. Einige unserer Besucher*innen stammen aus Kriegs- und Krisengebieten und haben zum Teil noch nie oder nur für kurze Zeit eine Schule besucht, bevor sie nach Deutschland kamen. Zu dieser ohnehin schon kaum vorstellbar schweren Situation kommen beengte Wohnverhältnisse, wenig Geld, keine Privatsphäre, teils wenig bis keine technische Ausstattung und vieles mehr.
Wie hat sich deine Arbeitssituation durch die Pandemie verändert?
Seit am 17. März, vor nunmehr fast 8 Wochen, die Schulen in Baden-Württemberg geschlossen wurden, ist auch unser Jugendtreff – zumindest für direkte persönliche Kontakte – geschlossen. Ziemlich schnell nach der Schulschließung haben wir Handysprechzeiten ins Leben gerufen: 3 Tage pro Woche sind wir für jeweils 4 Stunden erreichbar und versuchen über WhatsApp, Sprach- und Videonachrichten und Telefonate so gut es geht bei den Schulaufgaben zu unterstützen und auch für alle anderen Fragen und Probleme ansprechbar zu sein. Die Erfahrung zeigt, dass vor allem die Jugendlichen, die ansonsten kaum Unterstützung haben, auf Hilfe angewiesen sind. Teils fehlt ihnen die Technik, sie haben keinen PC oder Laptop, teilen sich zum Teil ein Smartphone, haben keine Mailadressen, keine Drucker oder verstehen die Aufgaben oder Mails des Lehrpersonals nicht. Auch ihre Eltern sind mit diesen Anforderungen teils schlicht überfordert. Einige Jugendliche sind für uns komplett von der Bildfläche verschwunden, was uns große Sorgen bereitet. Mit ziemlicher Sicherheit wird sich die Schere zwischen denjenigen mit Unterstützung aus dem Elternhaus und denjenigen, die diese Ressourcen (aus welchen Gründen auch immer) nicht haben, durch die lange Schulschließung noch weiter öffnen. Zwar werden im deutschen Schulsystem schon immer die Kinder aus wohlhabenden Familien gefördert, während die anderen auf der Strecke bleiben (wenig verwunderlich, denkt man z.B. an den Hartz IV-Regelsatz für Bildungsausgaben von 0,23€ pro Monat für 15-17-Jährige), aber diese Tendenz wird sich weiter zuspitzen, wenn die Schüler*innen für mehrere Wochen auf sich allein gestellt sind. Hinzu häufen sich weitere Schwierigkeiten, die oben bereits angesprochen wurden. Wie soll man z.B. ohne eigenes Zimmer in Ruhe Schulaufgaben machen? Wie lange kann man es generell in kleinen Wohnungen, ohne Terrasse oder Garten, ohne Ausweich- oder Rückzugsmöglichkeiten unbeschadet aushalten? Konflikte im häuslichen Kontext verstärken sich auf engstem Raum, Kontakte und Hilfestrukturen außerhalb der Familie fallen weg. Die Schulschließung kann auch den Wegfall von regelmäßigen warmen Mahlzeiten bedeuten, insbesondere wenn das eh schon knappe Haushaltsgeld durch Hamsterkäufe besorgter Bürger*innen für teurere Lebensmittel, die noch in den Regalen vorzufinden sind, ausgegeben werden muss. Zusätzlich sind die Tafeln geschlossen. Derzeit werden Schwierigkeiten wie ich sie hier beschrieben habe, häufig als Argumente für eine frühzeitige Wiederöffnung der Schulen herangezogen, allerdings ohne dabei ernsthafte Bestrebungen zu hegen, diese Ungleichheit, die wir auch ohne Pandemie haben, auch nur anzutasten.
(Quelle: https://www.hartziv.org/regelbedarf.html)
All diese Aspekte besorgen mich, da ich die Jugendlichen, die ich normalerweise regelmäßig sehe, nicht mehr erreichen kann und gleichzeitig weiß, dass das alles reale Schwierigkeiten sind, mit denen sie zu kämpfen haben. Meine Arbeitssituation hat sich also grundlegend und auf unbestimmte Zeit verändert. Wir versuchen, digitale Angebote zu schaffen und virtuelle Räume zu nutzen, aber auch hierzu haben bei weitem nicht alle Zugang. Persönlich werde ich im Moment unter der Auflage, soviel wie möglich in den digitalen Raum zu verlagern und konzeptionelle Arbeiten, Vernetzungsarbeit etc. weiterzuführen sowie Überstunden und alten Urlaub abzubauen, noch normal bezahlt. Aber von Kolleg*innen aus anderen sozialen Einrichtungen weiß ich, dass sie Urlaub nehmen müssen, Unterstunden anhäufen, in Kurzarbeit kommen oder sogar unbezahlt freigestellt werden. Die Verlagerung der Arbeit ins private Homeoffice, so wie die Sorge um die Jugendlichen, führen bei mir außerdem schnell zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit: mal muss dringend noch eine Mail verfasst, mal ein Anruf angenommen oder eine WhatsApp-Nachricht beantwortet werden.
Wie kann eine Nachbarschaftshilfe von unten für dich in dieser Situation eine Unterstützung sein?
Mir hilft im Moment auf jeden Fall der Austausch mit anderen, auch in Hinblick auf die arbeitsrechtliche Situation. Gleichzeitig zeigt mir meine Arbeitserfahrung, dass die staatlichen Strukturen den Arbeiterinnen und Arbeitern und ihren Familien und denen, die wenig zum Leben haben, kaum zugutekommen. Während die einen mit einem viel zu niedrigen Kurzarbeitergeld oder Hartz IV-Sätzen, die auch ohne Pandemie nicht mal annähernd als ausreichendes „Existenzminimum“ bezeichnet werden können, darum kämpfen ihre Mieten oder den nächsten Einkauf bezahlen zu können, können große Unternehmen einfach ihre Mietzahlungen einstellen und Milliardenhilfen vom Staat beantragen. Diese Widersprüche sind immer vorhanden, sie werden in der derzeitigen Krise aber besonders sichtbar. Deswegen müssen wir eine gegenseitige Hilfe von unten entwickeln, unabhängig von staatlichen Strukturen, die nachhaltig wirksam ist und nicht mit der nächsten Kürzung wieder verschwindet. Dabei kann es für uns alle eine neue Erfahrung sein uns gegenseitig zu unterstützen und z.B. Wissen oder Ressourcen zu teilen. Leider sind wir es im Alltag viel zu sehr gewohnt uns allein durchzuschlagen, mit unseren Problemen allein zurechtzukommen und für uns zu bleiben, anstatt uns mit Menschen zusammenzutun, die in einer ähnlichen Lage sind. Deswegen ist eine Nachbarschaftshilfe von unten gerade in der jetzigen Situation sehr wichtig und unterstützend. Aber auch nach einer „Rückkehr zur Normalität“, die für einen Großteil der Bevölkerung ein Verbleiben in prekären Verhältnissen bedeutet, bleibt eine selbstorganisierte gegenseitige Hilfe sehr wichtig.