Wie
war deine Arbeitssituation vor Corona?
Ich
arbeite bei einem sozialen Träger als Migrations- und
Familienberater. Zu mir kommen Menschen und Familien, die Hilfe und
Beratung bei der Bearbeitung von existenziellen Fragen des Lebens
benötigen. Ich bin ihre Anlaufstelle und helfe ihnen bei der
Bewältigung vieler Probleme. Primär sind es Sachen wie Beantragung
von Hartz IV bei Arbeitslosigkeit oder zu geringem Lohn, Anmelden
ihrer Kinder in der Schule und im Kindergarten, kultureller Teilhabe,
Sprachkurse, Integrationsaufgaben etc. Ein grundlegendes Problem ist
dabei, dass viele nicht richtig deutsch können und es auch nie
richtig lernen konnten, gerade weil der Beruf, der Zuzug oder die
Erziehung der Kinder so etwas nicht zugelassen hat. Weiterhin sind es
häufig Familien, die ihren Aufenthalt- oder Asylstatus bereits
erhalten haben und sich nun integrieren müssen. Damit helfe ich
ihnen beim Ausfüllen diverser Anträge und Formulare, die sie für
alle möglichen Behörden benötigen. Dabei muss ich natürlich auch
achten, dass die ihnen rechtlich zustehenden Gelder auch korrekt
erhalten. Dass bedeutet, ich bin in ständigen Kontakt mit meinen
Klienten und lerne sie natürlich auch immer besser kennen. Mein
Alltag sah dementsprechend aus: in der Regel haben sie einen Termin
mit mir ausgemacht, mich im Büro besucht und ihre Briefe oder
Unterlagen mitgebracht und wir haben sie gemeinsam bearbeitet. Mit
der ganzen Corona-Geschichte ist dieser wichtige und persönliche
Kontakt nun komplett weggebrochen und hat die sowieso schon
komplizierte Situation vieler Familien nur noch verschlimmert.
Wie
hat sich deine Arbeitssituation durch die Pandemie verändert?
Es
durften keine persönlichen Treffen mehr stattfinden. Das hat die
sowieso schon angespannte Situation in vielen Familien nur noch mehr
verschärft. Viele Probleme des Alltags und Fragen lassen sich
sowieso nur persönlich klären. Telefonisch oder mit Briefen/Emails
lässt sich nicht so viel klären, besonders auch, wenn die meisten
meiner Klienten kein deutsch kann. Als Beispiel: ich habe einem
Klienten einen Brief mit einer Antwort von mir verschickt, und diesen
Brief hat mir der Klient einfach wieder zurückgeschickt, weil er
dachte, das wäre wieder eine Anfrage von einer Behörde oder sonst
was. So was beweist, wie wichtig diese persönlichen Treffen einfach
sind. Auch das Kennenlernen von neuen Familien ist am Telefon
eigentlich nicht möglich, aber musste natürlich auch irgendwie
getan werden. Damit ist mir im Laufe der Zeit viel Arbeit
eingebrochen und ich musste anderweitig nach Lösungen suchen, wie
ich bei manchen weiterhelfen konnte. Zum Glück hat sich das
Jobcenter auch kulant gezeigt, gerade im Hinblick auf den
Arbeitsstatus von EU-Ausländern. Diese Gruppe darf nämlich nur hier
leben, solange sie entweder arbeitssuchend oder arbeitstätig sind
(EU-Arbeitnehmerstatus!). Da viele aber ihren Job verloren haben oder
einfach kein Gehalt mehr bekommen haben, benötigen sie dennoch
weiterhin Geld. Es war ein Glück, dass sich das Jobcenter in vielen
Fällen als kulant erwiesen hat. Aber was sollen die Leute auch
machen? Selbst die Ausreise war nicht mehr möglich. Letztlich kann
man sagen, diese ganzen Kontaktverbote und die Pandemiesituation hat
die sowieso schon komplizierte Lage meiner Klienten nur
verschlimmert. Von den Kindern will ich gar nicht reden: ihnen fehlt
fast ein halbes Schuljahr an Stoff, besonders an Deutsch, das aber
von den Lehrern nicht wirklich ernstgenommen wurde.
Bei
mir im Büro hat sich auch viel geändert. Die Anzahl der Meetings
und Sitzungen sind reduziert worden, trotzdem sind einige noch
gemacht worden, die nicht nötig gewesen wären. Abstand im Büro
oder in der Teeküche zu halten, war natürlich auch nicht möglich.
Das steht auch im Widerspruch zum Umgang mit Klienten, wo ein
absoluten Kontaktverbot bis vor einigen Wochen bestand. Hätte einer
meiner KollegInnen Corona gehabt, wären wir bestimmt auch alle
infiziert worden. Das war dementsprechend auch einfach
unverhältnismäßig. Mittlerweile können wir pro Mitarbeiter zwei
Termine am Tag anbieten, mit den jeweiligen Schutzmaßnahmen, aber
eine wirkliche Verbesserung ist das natürlich nicht. Jetzt hoffen
wir alle, dass sich die Situation entspannt!
Wie
kann eine Nachbarschaftshilfe von unten für dich in dieser Situation
eine Unterstützung sein?
Ich
erläutere erst ein Mal meine persönliche Situation: ich musste
weiterhin normal zur Arbeit gehen und habe auch kein Kurzarbeitergeld
bezogen. An den Rahmenbedingungen hat sich erstmal nichts geändert.
Wie sich die Situation entwickelt, werden wir sehen: wahrscheinlich
wird es im nächsten Haushalt des Kreises zuerst an sozialen Sachen,
also auch an Fördergelder für unsere Arbeit, gespart werden. Daher
muss mein Chef anderweitig suchen. Aber das ist mittlerweile
Standard: da es immer weniger Fördergelder von der Stadt gibt, sucht
man sich die Gelder projektbezogen von anderen Stellen oder
privaten/öffentlichen Stiftungen.
Eine
persönliche Kooperation mit solchen Nachbarschaftshilfen wäre
bestimmt möglich. Ich habe mittlerweile viel Erfahrung mit solchen
Behördenangelegenheiten und kann bei bestimmten Fragen auch
weiterhelfen bzw. kenne die dazugehörigen Anlaufstellen. Auch in der
Frage mit der Hausaufgabenbetreuung kann ich meine Familien
weiterleiten, denn viel kommt von den Schulen nicht zurück. Als
Fazit kann man sagen, dass solche Initiativen zur Selbsthilfe immer
gut sind und ich gerne dabei mithelfe, im Dschungel des
Behördenalltags klarzukommen.