Auf ein Mal 40% weniger Lohn - Fallbericht aus der Systemgastronomie

Wie war deine Arbeitssituation vor Corona?

Von 2015-2018 habe ich eine dreijährige Ausbildung zur Fachpraktikerin Hauswirtschaft beim Internationalen Bund in Reutlingen gemacht. Jetzt arbeite ich bei einem Cateringunternehmen mit verschiedenen Standorten. Es gibt eine große Zentralküche die das Essen für die verschiedenen Kantinen vorbereitet und wir machen es eigentlich nur noch warm und geben es aus. Meine Arbeitsstelle war dann immer direkt in der Schulkantine und ich habe vor allem verschiedene hauswirtschaftliche Tätigkeiten gemacht, aufräumen, Geschirr spülen, Boden reinigen, Essen ausgeben, ab und zu auch mal Fenster putzen und manchmal auch in der Küche mithelfen oder einen Raum herrichten wenn besondere Veranstaltungen geplant sind. Hier habe ich vor Corona an 5 Tagen die Woche je 6 Stunden am Tag gearbeitet und so im Monat knapp 1000 Euro verdient.

Nebenbei arbeite ich selbstständig in einem Franchise Unternehmen im Network-Marketing wo wir Nahrungsergänzungsmittel verkaufen, damit habe ich noch ein zweites kleines Einkommen. Wir sind in diesem Unternehmen insgesamt etwas mehr als 20 Leute und die Arbeit macht mir mehr Spaß als die Arbeit in der Kantine. Vor allem die freie Zeiteinteilung und das ich mir hier eher aussuchen kann mit wem ich zusammenarbeiten kann, finde ich gut. So habe ich zwar zwei Jobs, aber dadurch, dass ich mir die Zeit bei dieser zweiten Arbeit frei einteilen kann, geht es von der Arbeitsbelastung her für mich besser klar. 


Wie hat sich deine Arbeitssituation durch die Pandemie verändert?

Mit Corona hat sich das alles sehr plötzlich geändert. Ich weiß noch wie meine Chefin zu uns in die Küche kam und meinte, dass es sein kann, dass die Kantine zu machen muss, weil die ganzen Schulen vielleicht schließen. Bis jetzt wäre aber noch alles offen und wir würden dann bis Freitag Bescheid bekommen. Das war am Donnerstag. Am Freitag haben wir dann lange gewartet und durften auch nicht gehen, bis wir Bescheid bekommen haben wie es weiter geht. Als dann klar war, dass die Schulen tatsächlich zugemacht werden, wurde uns dann auch von den obersten Chefs der Firma direkt gesagt, dass wir alle auf Kurzarbeit runtergestuft werden, also nur noch 60% unseres Gehalts bekommen. Die Chefs haben uns dann auch direkt neue Verträge verteilt und ein paar Infozettel. Uns wurde gesagt, dass wir die Verträge innerhalb von zwei Tagen unterschrieben zurückschicken müssten, sonst könnte es sein, dass wir gekündigt werden. Ich weiß nicht, ob es bei uns einen Betriebsrat gibt oder Leute die in der Gewerkschaft sind, deswegen hatte ich auch keine Stelle an die ich mich damit wenden konnte. So hat dann jede für sich den Vertrag einfach unterschrieben, wir haben unter den Kolleginnen dann auch nicht mehr groß darüber geredet. Wir hatten alle den Eindruck, dass man da jetzt sowieso nichts ausrichten könnte. Ab Montag mussten diejenigen mit Überstunden dann schon daheimbleiben und Überstunden abbauen und wir anderen sind auf Kantinen verteilt worden die noch offen waren. Das war unser Glück, andere Kantinen waren sofort komplett zu, da durfte niemand mehr arbeiten. Das ging bei uns dann noch zwei Wochen, ab dem 1. April wurde die Arbeit dann komplett eingestellt und dann: Kurzarbeit.

In dem Moment habe ich mir schon gedacht „Was jetzt?“. Auf einmal 40% weniger Lohn zu bekommen ist hart. Irgendwie ist es machbar für mich, auch weil ich ja noch meinen Zweitjob habe. Für Kolleginnen von mir war das dramatischer. Eine Kollegin hat mich richtig mit WhatsApp Nachrichten bombardiert, weil sie wissen wollte, wie das mit dem Kurzarbeitergeld ist, und dass es doch nicht sein kann, dass sie jetzt auf einmal nur noch einen Teil ihres Gehalts bekommt. Ihr ist die ganze Situation ziemlich auf die Psyche gegangen, ich habe es zwar immer wieder geschafft sie ein bisschen zu beruhigen, aber ich musste ihr dann irgendwann auch sagen, dass ich mich mit diesen Fragen leider gar nicht auskenne.

Als Ende April dann klar war, dass ich wieder arbeiten kann, also auch mein Gehalt wieder bekomme, war aber auch ich sehr erleichtert – auch wenn es nicht dasselbe Monatsgehalt ist wie vor der Schließung und auch wenn die Arbeitsbelastung viel größer geworden ist.

Dass ich wieder arbeiten kann habe ich durch eine WhatsApp Nachricht erfahren: Am 29. April hat meine Chefin eine WhatsApp Nachricht geschickt, dass wir uns alle am 30. In der Kantine treffen müssen und dann besprochen wird wie es weitergeht. Zu diesem Treffen kam dann auch der oberste Chef und meinte dass wir die erste Kantine wären die offiziell wieder aufmachen darf und dass wir darauf eigentlich stolz sein könnten. Er hat auch direkt gesagt, dass es jetzt sehr strenge Regeln gibt, die wir genau einhalten müssten. Außerdem musste ich nochmal einen neuen Vertrag unterschreiben in dem stand, dass ich ab sofort nur noch 19,5 Stunden pro Woche arbeite statt 30 – und entsprechend weniger verdiene. Das heißt aber auch: Ich habe pro Tag nur noch vier Stunden Zeit für die Arbeit statt sechs, und das obwohl wir viel strengere Hygieneregeln einhalten muss. Ich muss mir die Arbeit sehr gut einteilen jetzt und es ist auf jeden Fall viel anstrengender geworden. Konkret bedeuten die neuen Hygieneregeln für mich: Noch bevor ich reingehe erstmal Hände desinfizieren, nur noch alleine umziehen, alleine Pause machen und immer versuchen 1,5 Meter Abstand einzuhalten. Manchmal klappt das dann doch nicht, gerade auch meine Chefin stand dann schon manchmal so nah hinter mir, dass ich ihr irgendwann gesagt habe: „Wie war das mit dem 1,50 Meter Abstand?“. Außerdem arbeiten wir auch nur mit Mundschutz und Handschuhen, das ist vor allem für mich als Brillenträgerin schwierig, ich musste erstmal richtig neu atmen lernen, damit meine Brille nicht ständig beschlägt. Die Schüler essen jetzt auch nicht mehr alle zur gleichen Zeit, sondern werden im 15 Minuten Takt rausgelassen aus dem Unterricht, damit sie essen können. Nach jedem Gast der da war, muss ich sofort Stuhl, Tisch und Griffe desinfizieren, also sobald jemand aufsteht muss ich immer gleich springen und hinterherwischen. Diese Abläufe sind sehr anstrengend und Tag für Tag kommen neue Regeln, auf die man achten muss.

Von Sonderregeln für Leute die besonders gefährdet sind, weiß ich nicht. Die müssen dann trotzdem zur Arbeit, ob es ihnen passt oder nicht, und wie soll man sie denn da schützen? Die sind darauf angewiesen, dass wirklich alle ihren Mundschutz tragen.

Ich mache mir auch ein bisschen Sorgen um meine eigene Gesundheit bei der Arbeit. Zum einen das Desinfektionsmittel, was wir ja auch den ganzen Tag zwangsweise einatmen. Nach dem zehnten Mal Tische desinfizieren fühlt man sich schon als ob man irgendwie auf Drogen wäre. Durch die ständige Arbeit mit aggressiven Reinigungsmitteln hatte ich auch ziemlich schnell Hautreizungen. Und durch den ständigen Stress und die Anweisungen die die ganze Zeit auf einen einprasseln ist es auch einfach eine psychische Belastung.

Auch wenn ich jetzt gerade wieder arbeiten kann, bleibt die Unsicherheit: Ich hoffe nicht, dass es soweit kommt, aber ich denke es kann schon gut sein, dass es noch eine zweite Welle gibt und es dann wieder heißt: „So, ihr könnt wieder zu machen“. Meiner Meinung nach haben sie einfach viel zu früh wieder aufgemacht. 


Wie kann eine Nachbarschaftshilfe von unten für dich in dieser Situation eine Unterstützung sein?

Auf die Nachbarschaftsgruppe bin ich durch einen Aushang beim Bäcker aufmerksam geworden. Nachdem ich ein paar Mal daran vorbei gelaufen bin, fand ich es dann doch spannend und weil ich durch die Kurzarbeit ja viel Zeit hatte und hilfsbereit bin und offen zu unterstützen wo ich kann habe ich mich dann bei der Nummer gemeldet und habe auch direkt eine Antwort bekommen. Konkret kann ich mir zum Beispiel gut vorstellen Aufgaben wie Kinderbetreuung oder Einkaufen und andere Erledigungen für besonders gefährdete Menschen zu übernehmen. Leute aus der Gruppe die sich mit Ämtersachen oder auch Arbeitsrechtsfragen auskennen waren außerdem auch eine riesige Hilfe.