1. Mai - Tag der Arbeiterklasse!

Hier findet ihr unsere Rede, die aufgrund der Umstände nicht vorgetragen werden kann. Dafür gibt es eine Audioversion: 


Heute ist der 1. Mai, der internationale Kampftag der Arbeiterinnen und Arbeiter. Aber dieser 1. Mai ist anders. Ein 1. Mai ohne große Demonstrationen und Kundgebungen auf unseren Straßen. Das ist angesichts der Pandemie leider richtig so. Aber richtig ist auch: Gerade jetzt, gerade in Zeiten der Pandemie und der Krise gibt es Grund genug für Protest.

Der Kurs in Richtung "Normalisierung" und Aufhebung der Corona-Schutzmaßnahmen, den die Politik schon seit Wochen vorantreibt ist ein Kurs im Interesse der großen Konzerne, nicht im Interesse der Mehrheit der Menschen. In unserem Interesse ist es, dass Gesundheit und Menschenleben geschützt werden, nicht die Profite der Unternehmer. Für eine Rückkehr zur Normalität gibt es bisher keine Grundlage. Laut den Statistiken des Robert Koch Instituts steigt die Reproduktionsrate des Virus bereits seit Mitte April wieder an und ein Impfstoff ist noch lange nicht in Sicht.

Teile der Gesellschaft fordern in dieser Situation eine Öffnung der Geschäfte, eine Rückkehr an nicht systemrelevante Arbeitsplätze und eine Wiederaufnahme des Schulbetriebs. Es gibt aber einen sehr wesentlichen Unterschied von diesen Forderungen zu den Interessen der Großkonzerne. Menschen die in einem besonders hohen Maße auf ihre Arbeit und auf den Schulbetrieb angewiesen sind, bekommen die Maßnahmen besonders heftig zu spüren - sie würden jedoch unter anderen Bedingungen nie ihre eigene Gesundheit und die ihrer Angehörigen aufs Spiel setzen.

Was aber tatsächlich passiert, ist das unter dem Vorwand der Normalisierung und der Rettung unserer Arbeitsplätze, vor allem eines gerettet wird: Die Profite von wenigen. Eine zweite Infektionswelle und ein Massensterben wie in Italien oder New York wird dabei in Kauf genommen. Dagegen müssen wir alle Widerstand organisieren!

Besonders negativ hervorgetan hat sich in dieser Hinsicht auch Boris Palmer: "Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären" - So lautet seine Argumentation dafür, die Schutzmaßnahmen so bald wie möglich zu lockern. Mal ganz abgesehen davon, dass es nicht stimmt, dass nur alte Menschen von Covid19 bedroht sind, drückt Palmers Haltung eine menschenverachtende Auffassung aus. Auch jemand, der nur noch ein Jahr zu leben hat, hat ein Recht darauf, dieses eine Jahr so angenehm wie möglich zu verbringen. Jedes Leben ist wertvoll - zu wertvoll, um es gegen die Gewinne der Unternehmen aufzurechnen!

Doch die öffentliche Empörung über die menschenverachtenden Aussagen Palmers sollte uns nicht täuschen - denn Palmer spricht eigentlich nur das ganz offen aus, was schon seit Wochen hinter vorgehaltener Hand von Politikern, Thinktanks und Vertretern des Kapitals diskutiert wird. In dasselbe Horn bläst auch Wolfgang Schäuble, der es für falsch hält, dem Schutz von Leben alles unterzuordnen. Wir sagen "nein" zu dieser mörderischen Missachtung des Rechts auf Leben! Wir stehen solidarisch mit allen, die von der Pandemie und den unzureichenden staatlichen Schutzmaßnahmen besonders bedroht sind!

Die Angestellten im Gesundheitswesen werden beklatscht und als HeldInnen gefeiert. Zur gleichen Zeit wurden die Schichten auf bis zu 12 Stunden bei nur 9 Stunden Ruhezeit ausgedehnt und die Personaluntergrenzen wurden ausgesetzt. Aber: Pflegekräfte dürfen keine Helden sein müssen. Sie haben keine übermenschlichen Kräfte. 12 Stunden kann kein Mensch auf die Dauer gute Arbeit leisten. Wenn Menschen gezwungen sind ohne ausreichende Schutzkleidung zu arbeiten, dann haben sie keine Superkräfte, die sie vor Infektionen schützen. Sie werden krank. Und ganz egal ob die offizielle Höchstzahl an Patienten pro Pflegekraft aufgeboben ist oder nicht: Das Infektionsrisiko steigt mit jedem zusätzlichen Patienten, den eine Pflegekraft zu betreuen hat.

Personalmangel kostet Menschenleben. Fehlende Schutzkleidung kostet Menschenleben. Und diese Zustände sind nicht vom Himmel gefallen, sondern das Gesundheitssystem ist von genau jenen Politikern und Managern systematisch kaputtgespart worden, die jetzt so gerne für "Corona-HeldInnen" mitklatschen. Die Einführung der Fallpauschalen in denen jedes Reservebett, jede Pflegekraft, jeder Patient, der "zu lange" auf Station ist, ein zu vermeidender Kostenfaktor wird, wurde 2004 von der Koalition aus SPD und Grünen eingeführt.

Viele von uns haben in diesen Tagen nicht nur Angst vor dem Coronavirus, sondern auch davor, in Kurzarbeit geschickt oder sogar gekündigt zu werden, in der Schule nicht mehr mitzukommen oder bald die Miete nicht mehr zahlen zu können.

Es wird davon gesprochen, dass jetzt „alle zusammen halten“ müssten um die schlimmsten Folgen „abzufedern“ – aber wer hält eigentlich zu uns, wenn wir versuchen uns von 150 € eine ausreichende Ausstattung fürs Homeschooling zu kaufen und das einfach nicht reicht? Wo ist dieser Zusammenhalt wenn uns das Recht auf Lohnfortzahlungen verweigert wird? Wie lange wird unser Vermieter es "abfedern", wenn wir die Miete nicht mehr bezahlen können?
Dieselbe Regierung, die dreist genug ist jetzt „Zusammenhalt“ zu fordern hat den großen Konzernen sofort Milliardenhilfe versprochen. Einige Unternehmen wie Adidas oder Müncher Rück haben noch im März an ihre Investoren Geld in Form von Dividenden oder Aktienrückkäufen ausgezahlt und gleichzeitig die Arbeiterlöhne mithilfe von Kurzarbeit gekürzt. Das ist genau das Gegenteil von dem was wir als ArbeiterInnen, RentnerInnen, SchülerInnen und Studierende in der Pandemie brauchen. Auf diese Art von Zusammenhalt können wir getrost verzichten!

Wir wollen nicht länger auf Hilfe von oben warten. Wir sind sicher: Jetzt helfen nur Solidarität und Zusammenhalt! Wir sind eine Initiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, eine Nachbarschaftshilfe von unten aufzubauen. Wir sind Leute aus verschiedenen Stadtteilen Tübingens, die sich seit Beginn der Corona-Krise zusammengetan haben. Wir sind nicht von der Stadt beauftragt und werden für diese Arbeit von niemandem bezahlt. Von Anfang an ging es uns nicht nur darum, Leuten aus Risikogruppen beim Einkaufen zu helfen, sondern uns bei allen Problemen gegenseitig zu unterstützen, die jetzt akut sind.

Heute, am 1. Mai, wollen wir ein Zeichen für Solidarität setzen - Solidarität mit allen, die in dieser Krise unter noch härteren Arbeitsbedingungen als sonst leiden, die nur noch das viel zu knappe „Kurzarbeitergeld“ bekommen und von Existenzangst und Armut betroffen sind. Solidarität mit allen Beschäftigten im kaputtgesparten Gesundheitswesen, für die die Krise seit Jahren Alltag ist. Solidarität mit allen, die bei viel zu schlechter Bezahlung in Berufen arbeiten, bei denen jetzt deutlich wird, dass ohne sie hier nichts funktioniert, z. B. KassiererInnen, Reinigungskräfte oder ErzieherInnen.

Lassen wir nicht zu, dass diejenigen, die uns jetzt einmal mehr hängen lassen, diejenigen die Krankenhäuser systematisch kaputt gespart haben und die die Betriebe wieder öffnen weil ihnen kurzfristige Profite wichtiger sind als Menschenleben sich anmaßen ihre Kürzungspolitik auf unsere Kosten jetzt auch noch mit Begriffen von „Zusammenhalt“ begründen. Ihr Zusammenhalt lässt uns alleine. Setzen wir dagegen unsere Solidarität. Eine Solidarität die nicht jetzt mit dem ersten Mai endet, sondern die wir gerade jetzt jeden Tag aufs Neue so dringend brauchen. Machen wir Solidarität zur Praxis, im Betrieb, in der Uni und im Stadtteil.


Wir fordern:

- eine sofortige Anhebung des Kurzarbeitergelds auf 100%!

-Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz für alle, auch für Minijobber!

- Spürbare Entlastungen und bessere Bezahlung für alle "Corona-HeldInnen" im Gesundheitswesen, im Einzelhandel und in allen systemrelevanten Betrieben!

- Mehr Personal und eine bessere Finanzierung des Gesundheitssystems! Sofortige Abschaffung der Fallpauschalen!

- Keine Aufhebung der Schutzmaßnahmen im Interesse der Unternehmen - konsequenter Schutz von Gesundheit und Leben so lange es nötig ist!